Mittwoch, 28. Januar 2009

Erste Verfasungsbeschwerde eg.BKA-Gesetz


BKA-Gesetz
erste Verfassungsbeschwerde eingereicht
Seit dem 1. Januar ist in Deutschland das neue BKA-Gesetz in Kraft, das nach Angaben der Regierung die Terrorismusbekämpfung verbessern soll, von Gegnern aber als gefährlicher Eingriff in den deutschen Rechtsstaat kritisiert wird. Heute wurde, wie bereits angekündigt, die erste Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz eingereicht. Beschwerdeführerin ist die in Bürgerrechtskreisen seit langem bekannte Schriftstellerin und Onlinejournalistin "Twister" Bettina Winsemann.

Unterstützt von Rechtsanwalt Prof. Dr. Fredrik Roggan, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union, reichte Winsemann die Klage heute vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Diesen Schritt hatte sie bereits angekündigt, als das BKA-Gesetz den Bundestag passierte, und für dieses Vorhaben Spenden unter der Bevölkerung gesammelt (gulli:news berichtete), was ein sehr positives Echo auslöste.


Das BKA-Gesetz in seiner aktuellen Form enthält mehrere Abschnitte, die von seinen Gegnern als höchst problematisch eingestuft werden. Besonders heftige Kritik wurde laut gegen die akustische und optische Überwachung der Wohnungen Verdächtiger, aber auch unverdächtiger Kontaktpersonen, gegen Einschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts, geplante Rasterfahndungen durch das BKA und insbesondere gegen die heimliche Online-Durchsuchung privater Computer mit Hilfe des sogenannten "Bundestrojaners". Gegen die heimliche Online-Durchsuchung konnte Winsemann bereits im vergangenen Jahr einen Erfolg erzielen, als diese Teil des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes war. Winsemann hatte damals ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, der in weiten Teilen stattgegeben wurde.

Die Verfassungswidrigkeit des neuen BKA-Gesetzes ist laut Roggan klar gegeben: "Das im Dezember verabschiedete BKA-Gesetz geht in vielen Überwachungsbefugnissen über das hinaus, was das Bundesverfassungsgericht unter freiheitlichen Gesichtspunkten gerade noch als zulässig einstuft. Es ist schon bemerkenswert, wie sich der Gesetzgeber immer wieder vorsätzlich über die Maßgaben aus Karlsruhe hinwegsetzt und versucht, verfassungsrechtliche Grenzen der Überwachung seiner Bürger zu umgehen. Das ist deswegen so bedenklich, da die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber binden."

Roggan kritisiert unter anderem den nur unzureichend eingegrenzten Anwendungsbereich der neuen Regelungen. Er befürchtet, "nach dem Wortlaut des jetzt angegriffenen Gesetzes sei die Online-Durchsuchung unter bestimmten Umständen bereits zulässig, wenn eine einfache Körperverletzung drohe". Das jedoch würde der vom Bundesverfassungsgericht am 27.2.2008 auf Winsemanns letzte Verfassungsbeschwerde getroffenen Grundsatzurteil widersprechen, laut dem "Eingriffe in die digitale Privatsphäre nur zulässig sind, wenn existentielle Notlagen bestehen". Diese Entscheidung wurde vom Bundesverfassungsgericht sogar durch die Definition eines neuen Grundrechts, des Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, untermauert. Dieses Grundrecht sieht Roggan nun unter anderem gefährdet. Auch sieht er einen Eingriff in den vom Grundgesetz als besonders schützenswert definierten sogenannten Kernbereich privater Lebensgestaltung.

Auch andere Maßnahmen finden in der von Roggan formulierten Beschwerdeschrift Berücksichtigung, beispielsweise Pläne für Telekommunikationsüberwachung und Rasterfahndungen: "Das Verfassungsgericht hat bereits 2006 ausdrücklich entschieden, dass Rasterfahndungen nur eingesetzt werden dürfen, um damit konkrete Gefahren abzuwehren. Im neuen BKA-Gesetz hat sich der Gesetzgeber über diese Vorgabe einfach hinweg gesetzt, indem er schlicht den gängigen Gefahrenbegriff umdefinierte. Diese abenteuerliche Gesetzgebung wollen wir mit unserer Verfassungsbeschwerde wieder auf den Boden des Grundgesetzes zurückholen."

gulli meint:

Das geänderte BKA-Gesetz ist eines der beunruhigendsten und für unseren Rechtsstaat auf Dauer gefährlichsten sogenannten Sicherheitsgesetze der letzten Jahre. Hier hat man es geschafft, in einem einzigen Gesetz unverhältnimäßige Eingriffe in einer rekordverdächtigen Anzahl von Grundrechten zu legitimieren. Dass so etwas nicht gutgehen kann, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsche Verdächtigungen, Angst, Missbrauch und Unfreiheit bedeuten wird, sollte eigentlich für jeden aufmerksamen Beobachter auf der Hand liegen. Zu viele Unschuldige gerieten schon nach den bisherigen Gesetzen in die Mühlen einer Antiterrorgesetzgebung, die Maß und Ziel zunehmend aus den Augen verliert. Das BKA-Gesetz wird diese Problematik in Zukunft noch verschärfen.

Diejenigen, die gegen dieses Gesetz vorgehen, die versuchen, auf dem Rechtsweg einen Teil unserer Freiheiten zurückzugewinnen, verdienen die Solidarität aller, die diese Freiheiten nur gezwungenermaßen und unter Protest aufgegeben haben; derjenigen, die dieses Gesetz niemals wollten und nach wie vor hoffen, dass es so schnell wie möglich zu einer gruseligen Fußnote der Geschichte wird. Seien wir froh, dass es engagierte und fähige Menschen gibt, die diesen Versuch unternehmen, und wünschen wir den Beschwerdeführern viel Kraft und Erfolg auf ihrem Weg. Ich jedenfalls tue dies hiermit.

Dieser bewundernswerte Schritt engagierter Einzelpersonen darf allerdings nicht über die grundsätzliche Problematik hinwegtäuschen, dass das Bundesverfassungsbericht niemals als ein Ort gedacht war, an dem Gesetze gemacht werden. Exzesse wie das BKA-Gesetz sollten auf politischem Wege verhindert werden, nicht, wie es in letzter Zeit immer mehr zur Gewohnheit wird, erst an allerletzter Stelle beim Bundesverfassungsgericht. Solange, wie Karlsruhe über fast jedes neue Sicherheitsgesetz entscheiden muss, liegt in diesem Land definitiv so einiges auf beunruhigende Weise im Argen. Trotzdem - weit schlimmer wäre es, wenn wir auch die Hoffnung auf Karlsruhe nicht mehr hätten. Hoffen wir, dass die Richter die von den Gegnern des Gesetzes in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und eine Entscheidung treffen, die nicht vor lauter möglichen Hintertüren ihre Wirksamkeit gegen die dreisten Eingriffe der Regierung in den Rechtsstaat gleich von vorneherein einbüßt.

(Quelle:Gulli)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen