Freitag, 8. Juni 2012

Was ist los im Nahen Osten???



Dem Projekt eines «Neuen Nahen Ostens»:


Kreative Zerstörung als revolutionäre Kraft





Ursprünglich im 18. November 2006 veröffentlicht.


Der Begriff «neuer Naher Osten» wurde der Welt im Juni 2006 in Tel Aviv von US-Aussenministerin Condoleezza Rice vorgestellt (in den westlichen Medien hiess es, sie hätte den Begriff geprägt), als Ersatz für den älteren und imponierenderen Begriff «umfassender naher Osten» (Greater Middle East).

Diese Verschiebung in der politischen Phraseologie fiel mit der Eröffnung des Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC-)Ölterminals im östlichen Mittelmeer zusammen. Der Begriff und die Konzeptbildung eines «neuen Nahen Ostens» wurden in der Folge von der US-Aussenministerin und dem israelischen Premierminister auf dem Höhepunkt der anglo-amerikanisch gesponserten Belagerung Libanons lanciert. Premierminister Olmert und Aussenministerin Rice hatten die internationalen Medien informiert, dass ein Projekt für einen «neuen Nahen Osten» von Libanon aus gestartet würde.

Diese Ankündigung war eine Bestätigung einer anglo-amerikanisch-israelischen «militärischen Road map» im Nahen Osten. Dieses Projekt, das sich schon seit mehreren Jahren in der Planung befand, betrifft die Herstellung eines Bogens der Instabilität, des Chaos und der Gewalt, der sich von Libanon, Palästina und Syrien über den Irak, den Persischen Golf und den Iran bis an die Grenzen des von der Nato besetzten Afghanistan erstreckt.

Washington und Tel Aviv haben das Projekt «neuer Naher Osten» in der Erwartung öffentlich vorgestellt, dass Libanon der Ansatzpunkt für eine Neuausrichtung des gesamten Nahen Ostens wäre und damit für eine Freisetzung der Kräfte des «konstruktiven Chaos». Dieses «konstruktive Chaos» — das in der ganzen Region Gewalt und Krieg erzeugt — würde dann so genutzt, dass die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und ­Israel die Karte des Nahen Ostens in Übereinstimmung mit ihren geostrategischen Bedürfnissen und Zielen neu zeichnen können.



Der Libanon-Krieg ? die «Geburts­wehen» des «neuen Nahen Ostens»

Aussenministerin Condoleezza Rice sagte während einer Pressekonferenz, «was wir hier sehen [die Zerstörung Libanons und die israelischen Angriffe auf Libanon], ist in gewisser Weise das Entstehen die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens, und was immer wir [die USA] tun, wir müssen sicher sein, dass wir auf einen neuen Nahen Osten hinarbeiten und nicht zum alten zurückkehren». [1] Aussenministerin Rice wurde sowohl in Libanon als auch international sofort für ihre Stellungnahmen kritisiert, die ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden einer ganzen Nation dokumentieren, die von der israelischen Luftwaffe wahllos bombardiert wurde.

  

Die anglo-amerikanische militärische «Road map» im Nahen Osten und in Zentralasien
Die Rede von US-Aussenministerin Condoleezza Rice über den «neuen Nahen Osten» hatte den Boden bereitet. Die israelischen Angriffe auf Libanon — die von Washington und London gutgeheissen worden waren — haben die Existenz der geostrategischen Ziele weiter offengelegt und bestätigt. Laut Prof. Mark Levine würden «die neoliberalen Globalisierer, die Neokonservativen und letztlich die Bush-Administration sich an den Begriff der kreativen Zerstörung klammern, weil er am besten den Prozess beschreibt, mit dem sie ihre neue Weltordnung herzustellen hoffen». Levine zitiert auch den neokonservativen Philosophen und Bush-Berater Michael Ledeen mit den Worten: «Für die Anhänger der kreativen Zerstörung sind die USA ?eine grossartige revolutionäre Kraft?, deren Wesen die kreative Zerstörung ist.» [2]

Der anglo-amerikanisch besetzte Irak, besonders das irakische Kurdistan, scheint das Versuchsfeld für die Balkanisierung (Teilung) und Finnlandisierung (Befriedung) des Nahen Ostens zu sein. Der gesetzgeberische Rahmen für eine Teilung des Irak in drei Teile wird schon durch das irakische Parlament unter dem Deckmantel der Föderalisierung des Irak ausgearbeitet.

Darüber hinaus scheint die anglo-amerikanische «Road map» den Zugang zu Zentralasien über den Nahen Osten zu suchen. Der Nahe Osten, Afghanistan und Pakistan sind Zwischenschritte für eine Ausdehnung des US-Einflusses in die ehemalige Sowjetunion und die ehemaligen zentralasiatischen Republiken hinein. In gewisser Weise ist der Nahe Osten der südliche Gürtel Zentralasiens. Zentral­asien wiederum wird auch als «Russlands südlicher Gürtel» oder als das «nahe Ausland» Russlands bezeichnet.

Viele russische und zentralasiatische Wissenschafter, Militärplaner, Strategen, Sicherheitsberater, Ökonomen und Politiker betrachten Zentralasien («Russlands südlichen Gürtel») als verletzlich und als verwundbare Stelle der russischen Föderation. [3]

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Zbigniew Brzezinski, ein früherer Sicherheitsberater, in seinem Buch The Grand Chessboard: American Primary and Its Geostrategic Imperatives [deutsch erschienen unter: «Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft»], den modernen Nahen Osten als den Schalthebel für eine Region bezeichnet, die er, Brzezinski, als eurasischen Balkan bezeichnet. Der eurasische Balkan besteht aus dem Kaukasus (Georgien, der Republik Aserbeidschan und Armenien) und Zentralasien (Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Afghanistan und Tadschikistan) und in gewisser Weise auch aus dem Iran und der Türkei. Der Iran und die Türkei bilden zusammen den nördlichsten Gürtel des Nahen Ostens (ausgenommen den Kaukasus), der nach Europa und in die ehemalige Sowjetunion ausstrahlt. [4]

Die Karte des «neuen Nahen Ostens»

 
Eine relativ unbekannte Karte des Nahen Ostens, des Nato-besetzten Afghanistans und Pakistans zirkuliert seit Mitte 2006 in Strategie-, Regierungs-, Nato- und Militärkreisen. Ein paarmal wurde es ihr gestattet, in der Öffentlichkeit zu erscheinen, vielleicht in einem Versuch, einen Konsens zu erzeugen und die Öffentlichkeit langsam auf mögliche, vielleicht sogar umwälzende Veränderungen im Nahen Osten vorzubereiten. Es handelt sich um eine Karte eines neugezeichneten und umstrukturierten Nahen Ostens, der als «neuer Naher Osten» bezeichnet wird.

 
Die Karte des «neuer Naher Osten» wurde von Oberstleutnant Ralph Peters angefertigt.
Sie wurde im Juni 2006 im Armed Forces Journal veröffentlicht. Peters ist pensionierter Offizier der US National War Academy.

Obwohl die Karte nicht offiziell die Doktrin des Pentagon wiedergibt, wurde sie in einem Trainingsprogramm im Defense College der Nato für ranghohe Offiziere verwendet. Diese Karte, wie auch andere ähnliche Karten, ist höchstwahrscheinlich an der National War Academy und in anderen militärischen Planungszirkeln benutzt worden.

Diese Karte eines «neuen Nahen Ostens» scheint von mehreren anderen Karten abgeleitet zu sein, darunter älteren Karten von möglichen Grenzen im Nahen Osten, die bis auf die Ära von US-Präsident Woodrow Wilson und den Ersten Weltkrieg zurückgehen. Diese Karte wird als Idee des pensionierten Oberstleutnants der US-Armee Ralph Peters präsentiert, der glaubt, dass die neuentworfenen Grenzen die Probleme des gegenwärtigen Nahen Ostens fundamental lösen werden.

Die Karte eines «neuen Nahen Ostens» war ein Schlüsselelement in Peters Buch Never Quit the Fight (Gib den Kampf nie auf), das am 10. Juli 2006 veröffentlicht wurde. Die Karte des neugezeichneten Nahen Ostens wurde auch unter dem Titel «Blutgrenzen: wie ein besserer Naher Osten aussähe» im Armed Forces Journal mit einem Kommentar von Ralph Peters veröffentlicht. [5]

Man muss beachten, dass Oberstleutnant Ralph Peters zuletzt den Posten eines stellvertretenden Stabschefs für Geheimdienstfragen im US-Verteidigungsministerium innehatte, einer der führenden Autoren des Pentagon war und für Militärzeitschriften zahllose Aufsätze über Strategie und US-Aussenpolitik geschrieben hat.

Man konnte lesen, dass Ralph Peters «vier frühere Bücher über Strategie in Regierungs- und Militärkreisen grossen Einfluss ausgeübt haben», aber man könnte auch versucht sein zu fragen, ob nicht eigentlich genau das Umgekehrte stattgefunden hat. Könnte es nicht sein, dass Oberstleutnant Peters nur enthüllt und öffentlich macht, was Washington und seine strategischen Planer für den Nahen Osten geplant haben?

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